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Gemeinsame Erklärung zu den theologischen Grundlagen der Kirche und ihrem Auftrag in Zeugnis und Dienst

Vom 23. Mai 1985

(MBl. BEK S. 88, ABl. EKD 1987 S. 243)

Zu den Empfehlungen der Eisenacher Delegiertenversammlung gehörte die Erarbeitung von Grundartikeln, die Bestandteil einer künftigen Verfassung einer Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR sein sollten. Nachdem der in Eisenach 1979 vorgeschlagene Weg zur Bildung einer VEK sich als nicht gangbar erwies, haben sich Synoden und Leitungen der drei kirchlichen Zusammenschlüsse dafür ausgesprochen, die Arbeit an den Grundartikeln dennoch zum Abschluss zu bringen. Damit war die Erwartung verbunden, dass die über Jahre hinweg erreichte theologische Übereinstimmung in zentralen theologischen Fragen festgehalten, das Kirchesein der Gemeinschaft der im Bund der Evangelischen Kirchen zusammengeschlossenen Gliedkirchen mit einer gewissen Verbindlichkeit beschrieben und durch eine gemeinsam verabschiedete Fassung den Grundartikeln der Charakter einer Basiserklärung gegeben wird, die die beteiligten Kirchen ihrem Handeln in Zeugnis und Dienst zugrunde legen.
Bei der abschließenden Überarbeitung waren die Stellungnahmen der Gliedkirchen und der kirchlichen Zusammenschlüsse zu berücksichtigen. Sie haben es als ratsam erscheinen lassen, zur Vermeidung von Missverständnissen auf den Begriff »Grundartikel« zu verzichten und dafür die jetzige Bezeichnung zu wählen. In einer neu formulierten Präambel werden Inhalt und Funktion der Gemeinsamen Erklärung erläutert. Es wird auch begründet, weshalb und in welchem Sinne die Gemeinschaft der Gliedkirchen und ihrer Zusammenschlüsse als Kirche verstanden wird.
Die Leitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen, der Evangelischen Kirche der Union und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR haben dem Ergebnis der Überarbeitung zugestimmt und es den Synoden der Zusammenschlüsse und den Gliedkirchen zur Verabschiedung zugeleitet.
Die »Gemeinsame Erklärung zu den theologischen Grundlagen der Kirche und ihrem Auftrag in Zeugnis und Dienst« wird in der Fassung vom 23. Mai 1985 hiermit bekannt gemacht.
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Gemeinsame Erklärung … in der überarbeiteten Fassung vom 23. Mai 1985

Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR hat angesichts der Zustimmung zur Leuenberger Konkordie, der geführten theologischen Gespräche und der praktizierten Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst 1976 die Feststellung getroffen, dass die im Bund zusammengeschlossenen Gliedkirchen gemeinsam Kirche sind.
Die Gliedkirchen und ihre Zusammenschlüsse, die Evangelische Kirche der Union, die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR haben eine Gemeinsame Erklärung erarbeitet, die die Übereinstimmung im Verständnis von Kirche und ihrem Auftrag beschreibt.
Sie verstehen ihre Gemeinschaft als Kirche im theologischen Sinn des Wortes und sprechen in diesem Sinn von der Evangelischen Kirche in der DDR.
Sie bekunden mit der Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung ihren Willen, diese Erklärung ihrem Handeln in Zeugnis und Dienst zugrunde zu legen.
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I.

( 1 ) Die Evangelische Kirche in der DDR ist die Gemeinschaft der Gliedkirchen und ihrer Zusammenschlüsse. Unter ihnen besteht Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums und in der Verwaltung von Taufe und Abendmahl, wie sie nach reformatorischer Einsicht für die wahre Einheit der Kirche notwendig ist und ausreicht (Augsburger Bekenntnis, Artikel 7; aufgenommen in Leuenberger Konkordie, Ziffer 2). Diese Übereinstimmung ist durch die Zustimmung der Leuenberger Konkordie festgestellt worden und in der Evangelischen Kirche wirksam. Die Gemeinschaft der bekenntnisbestimmten und rechtlich selbstständigen Gliedkirchen mit ihren Gemeinden ist Kirche. Die Evangelische Kirche fördert diese Gemeinschaft und nimmt die gemeinsamen Aufgaben in verbindlicher Zusammenarbeit wahr.
( 2 ) Die Evangelische Kirche versteht sich als Teil der einen Kirche Jesu Christi. Die Evangelische Kirche bekennt Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, als den gekreuzigten, auferstandenen, erhöhten und kommenden Herrn.
Durch ihn macht Gott seine Schöpfung neu, und mit ihm wird er seine Herrschaft vollenden; um seinetwillen nimmt er die Menschen aus Gnade durch den Glauben an und beruft sie aus allen Völkern durch den Heiligen Geist zu der einen heiligen, allgemeinen apostolischen Kirche.
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II.

( 3 ) Die Evangelische Kirche gründet sich auf Jesus Christus allein, der das Heil der Welt ist. Durch sein Wort ruft Gott die Menschen zur Umkehr. Er rechtfertigt den Sünder allein aus Gnade und allein durch den Glauben. Er schenkt ihm durch den Heiligen Geist ein neues Leben in der Nachfolge. Die Evangelische Kirche lebt aus dem Wort Gottes, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist. Diese allein ist Maßstab für Glauben, Lehre und Leben in der Evangelischen Kirche.
( 4 ) Die Evangelische Kirche weiß sich an die altkirchlichen Bekenntnisse gebunden. In der Bindung an die Bekenntnisschriften der Reformation, wie sie für die Gliedkirchen nach ihren Ordnungen gelten, bestehen Unterschiede.1#
Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, wie es in der Leuenberger Konkordie seinen Ausdruck gefunden hat, begründet Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, befähigt zur Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst und ermöglicht es, mit bestehenden Bekenntnisunterschieden in einer Kirche zu leben.
( 5 ) Die Evangelische Kirche sieht in den überlieferten Bekenntnissen Wegweiser zum Verständnis der Heiligen Schrift. Sie wollen der Abwehr von Irrlehre und dem aktuellen Bekennen dienen. In ihrer Konzentration auf das Evangelium vom Heil in Jesus Christus bleiben die Bekenntnisse eine unerlässliche Orientierungshilfe für den Auftrag, den die Evangelische Kirche auszurichten hat. Die Gliedkirchen mit ihren lutherischen, reformierten und unierten Gemeinden bleiben an ihre Bekenntnisse gebunden. Das Hören auf die jeweils anderen Bekenntnisse erweist sich als Hilfe zur Auslegung der Heiligen Schrift. Die Evangelische Kirche trägt zur Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft bei, indem sie das Hören auf das Zeugnis der Brüder, die gemeinsame Abwehr von Irrlehre und das aktuelle Bekennen fördert. In diesem Sinne wirkt sich die Bekenntnisbestimmtheit der Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche aus.
( 6 ) Die Evangelische Kirche versteht die Theologische Erklärung von Barmen als Ausdruck gemeinsamen Bekennens von Vertretern lutherischer, reformierter und unierter Kirchen und Gemeinden, das 1934 im Kirchenkampf zur Abwehr kirchenzerstörender Irrlehre erforderlich wurde. Sie bejaht sie als ein Zeugnis des Glaubens für die immer wieder versuchte und angefochtene Kirche, das in der Bindung an die Heilige Schrift wie an die Bekenntnisse der Alten Kirche und der Reformation für das heutige Bekennen richtungweisend bleibt.
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III.

( 7 ) In der Gemeinschaft der einen Kirche Jesu Christi nimmt die Evangelische Kirche mit den Gliedkirchen und deren Gemeinden den Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums und zur Verwaltung der Sakramente in seiner Vielfalt wahr. Der Dienst der Kirche, ihr Gottesdienst, ihre Arbeit in Predigt, Unterweisung und Lehre, in Seelsorge und Diakonie, ihre Mitarbeit in der Ökumene und ihre Verantwortung in der Gesellschaft sind an diesen Auftrag gebunden. Alle Arbeit in der Gemeinde, die Beauftragung zur Verkündigung des Wortes Gottes und zur Verwaltung von Taufe und Abendmahl wie auch die Beauftragung von Mitarbeitern zu besonderen Diensten dienen der Erfüllung des Auftrages, den Jesus Christus seiner ganzen Gemeinde gegeben hat. In diesem Dienst, der bei aller Verschiedenheit geistlich gleichrangig ist, sind alle füreinander verantwortlich und bedürfen gegenseitiger Tröstung und Ermahnung.
( 8 ) Die Evangelische Kirche steht in der in Jesus Christus gegebenen Einheit der weltweiten Kirche. Darum sucht sie die Gemeinschaft der Kirchen, die Jesus Christus als Gott und Heiland bekennen. Sie fördert die Bemühungen um Zusammenarbeit, gemeinsame Anbetung und glaubwürdiges Zeugnis aller Christen an einem Ort. Die Evangelische Kirche nimmt ihre ökumenische Verantwortung durch ihre Mitarbeit in den ökumenischen Bewegungen wahr. Gemeinsam mit anderen Kirchen und ihren ökumenischen Zusammenschlüssen bemüht sie sich darum, in Weltmission und Evangelisation zu verkündigen, Menschen in Not und Leiden zu helfen und die in Christus gegebene Einheit der Kirchen sichtbar werden zu lassen.
( 9 ) Weil das Wort Gottes allen Menschen gilt, weiß sich die Evangelische Kirche beauftragt, es öffentlich und jedermann zu bezeugen. Sie sieht darum die Gesellschaft, in der sie lebt, als den ihr von Gott zugewiesenen Ort zur Bewährung ihres Glaubens, ihrer Hoffnung und ihrer Liebe an. In der aus der Bindung an das Wort Gottes erwachsenden Freiheit nimmt die Evangelische Kirche ihre Verantwortung für das Leben der Gesellschaft wahr. Sie fördert das Bemühen der Christen, sich mit Menschen anderer Überzeugung für das Wohl der Menschen, für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei denen, die Not leiden oder in ihrem Gewissen bedrängt sind.

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1 ↑ In den Gliedkirchen gelten die lutherischen Bekenntnisschriften: die Augsburgische Konfession, die Apologie und, wo sie anerkannt sind, die Schmalkaldischen Artikel, der Kleine und Große Katechismus Martin Luthers und die Konkordienformel. In einigen Gliedkirchen gelten auch die reformierten Bekenntnisschriften: der Heidelberger Katechismus und, wo sie anerkannt sind, die Confession de Foi, die Discipline ecclésiastique und die Confessio Sigismundi.